Ausgabe 01 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Kommunikationsguerilla im 16. Jahrhundert

Q – Ein Roman als Bewegungslehre

„Raffiniert umspannt dieser historische Thriller vierzig Jahre im 16. Jahrhundert – vierzig Jahre, die die Welt veränderten. Deutschland ist im Umbruch: Luther und die Wiedertäufer, päpstliche Spione und aufständische Bauern kämpfen um Macht und Vorherrschaft. Vor diesem Hintergrund stehen sich zwei erbitterte Feinde gegenüber: Ein junger Theologiestudent, Anführer der Häretiker, und sein unsichtbarer Feind – Q, der Mann ohne Gesicht, der Statthalter des Papstes, der Verräter ohne Namen."

Soweit der Klappentext zum gerade erschienenen Roman Q. Mal wieder ein Bestseller vor historischem Hintergrund? Ein neuer Name der Rose oder gar ein weiterer Medicus? Daß Q eben nicht nur ein weiterer Roman in einem geschichtsträchtigem Spektakel ist, wird allerdings schon auf den ersten Seiten klar: Das Copyright ermächtigt den Leser, den Inhalt des Buches in allen möglichen Formen zu vervielfältigen und auch ins Internet zu stellen ­ solange es nicht zu kommerziellen Zwecken geschieht. Verantwortlich für diese Copyleft-Regelung ist das Autorenkollektiv, das unter dem Namen Luther Blissett arbeitet. Luther Blissett hat in Netz- und Kommunikationguerilla-Kreisen inzwischen einen ziemlichen Bekanntheitsgrad erreicht ­ und steht für ein weitverstricktes Kunst- und Literaturprojekt aus Bologna. Klickt man sich durch die Website www.lutherblisset.net stößt man auf diverse Hinweise und Links zu anderen Projekten und findet auch eine Erklärung für die provokante Copyright-Gestaltung Luther Blissetts: „Schreiben ist immer ein kollektiver Prozeß, Ideen sind kein Eigentum, ,Genie' existiert nicht ­ alles ist eine einzige Rekombinierung". Dabei geht es den Autoren offensichtlich nicht um die große Gleichmacherei, denn allen Verschleierungstaktiken zum Trotz stehen hinter Q vier junge und ­ soweit ersichtlich ­ real existierende Autoren. Und die haben schließlich ihre Rechte ­ wenn auch mit gewissen Lockerungen des Copyrights ­ an die Verlage verkauft. Die Kritik richtet sich eher gegen einen grundsätzlich enger werdenden Begriff des geistigen Eigentums, wie er sich symptomatisch in den Patentierungsabsurditäten der Biotechnologie widerspiegelt. Ähnliche Ansätze und Überlegungen lassen sich im Umfeld von Globalisierungskritikern finden, und so ist es folgerichtig, daß Luther Blisset auch im Zusammenhang mit der italienischen Bewegung der „Tutte Bianche" auftaucht. Diese stellen sich quer zu den traditionellen (linken) politischen Positionen, um neue Formen des politischen Widerstands zu entwickeln und ungewöhnliche Koalitionen zu ermöglichen.

All das fließt natürlich auch in den Roman um den Revolutionär und seinen päpstlichen Gegenspieler ein. In einer poetischen und stellenweise auch brutalen Sprache werden die Wirren und Aufstände um die Bauernkriege und die Wiedertäufer erzählt. Der Erzähler zieht durch Europa und kämpft unter verschieden Identitäten für seine Freiheitsideale. Verfolgt wird er dabei vom päpstlichen Spion Q, der sich als überzeugter Revolutionär ausgibt, aber nichts anderes ist als ein hochbegabter Handlanger der Macht. Fürsten und Papsttum spielen die Klaviatur der Intrigen und Konterstrategien ­ nicht zuletzt aufgrund der Informationen von Q ­ geschickter als ihre Gegenspieler und sind ihnen immer einen Schritt voraus. Die aufrührerischen Bewegungen werden niedergeschlagen oder in fundamentalistische Exzesse getrieben. So endet jeder Aufstand in einem Blutbad.

Ins liberale Antwerpen der Kaufleute geflüchtet, lernt der gescheiterte Held des Romans eine neue Spielart des Widerstandes kennen: das System mit den eigenen Waffen schlagen. Mit gefälschten Kreditbriefen der Fugger bringt er das System ins Wanken und kommt nebenbei zu einem kleinen Vermögen. Allerdings liegt auch hier das nächste Scheitern in der Luft, und es gilt, eine neue Strategie zu finden: Gemeinsam mit jüdischen Kaufleuten nutzt er die Möglichkeiten des Buchdrucks und sorgt so aller inquisitatorischen Repression zum Trotz für die Verbreitung aufklärerischer Schriften. Die Verbreitung subversiver Ideen durch Netzwerke und kollektives Verfassen von Texten ­ der Kreis schließt sich. Die Ansätze einer Kommunikationsguerilla des 21. Jahrhunderts finden ihre Vorläufer in Modellen des 16. Jahrhunderts ­ soviel zum Begriff des geistigen Eigentums.

Unschwer zu erkennen, daß Q eine Parabel auf die heutigen Verhältnisse darstellt und aktuelle Bewegungslehre widerspiegelt. Anders als bei Umberto Ecos Verwirrspiel Der Name der Rose oder dem Klassiker der Verschwörungstheorien, Illuminaten, geht es bei Q nicht um das „Alles ist möglich" und „Nichts ist, wie es scheint", sondern um die Frage konkreter Handlungsmöglichkeiten und der persönlichen Integrität. Geschichte lebt. Ganz klar: das Buch, das Konzept des Jahres.

Marcus Peter

 


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