LUTHER BLISSETT: Q
 Zwischen Mantua und Ferrara wollte einst ein Wiedertäufer, ein Häretiker den zukünftigen Papst bekehren: absurde Idee und Schlüsselszene einer Geschichte, die in Italien zur literarischen Sensation wurde. Auch deshalb, weil der Autor unbedingt anonym bleiben wollte.


Seine Geschichte erzählt von der Suche nach einem neuen Glauben. Von einem allumfassenden Plan, einem Geflecht aus Intrigen, Verrat und Blutvergießen. Von Aufständen und Kriegen. Vom Machthunger der Kirche. Vom tragischen Ende Thomas Müntzers und der Wiedertäufer. Von Martin Luther, der die Bauern an die Fürsten verrät. Und sie erzählt vom "Auge des Papstes", von "Q", dem Spion ohne Namen. "Q" ist ein historischer Roman, eine Spystory von Luther Blissett, einem Autor, den niemand kennt.

Das ist Luther Blissett: ein "trickster". Er inszeniert spektakuläre "fakes" und führt dabei die Kunstszene und auch die Medien in die Irre. Luther Blissett sucht "Erleuchtung in der Konfusion". Luther Blissett ist ein Pseudonym, eine Idee in einer Vielzahl von Körpern.

Der Autor von "Q" ist Teil von Luther Blissett. Vier junge Männer aus Bologna haben "Q" geschrieben. Der Erfolg ihres Buches veranlasste sie, ihre Identität erneut zu ändern. Sie nennen sich heute "Wu Ming". Das ist Chinesisch und bedeutet "namenlos": Ein Verwirrspiel. Aber sie weigern sich strikt, gefeierte Literaturstars zu werden. Denn nicht der Verfasser, nur die Geschichte sei entscheidend.

Wer sind die Autoren von "Q"? Ein erster Kontakt mit der Gruppe war übers Internet entstanden. Doch der Versuch, sie in Bologna zu treffen, schlägt fehl. Ihre Namen, Giovanni Cattabriga, Roberto Bui, Luca di Meo und Federico Guglielmi sind inzwischen bekannt. Und sie sind auch hier. Irgendwo in der Menge. Aber sie wollen unsichtbar bleiben.

Und dann, eine Überraschung: genau an dem Ort, wo der Wiedertäufer den zukünftigen Papst bekehren wollte, genau dort soll ein konspiratives Treffen stattfinden - vorausgesetzt ihre Anonymität bliebe gewahrt.

Giovanni Cattabriga: "Für uns ist es nichts besonderes anonym, als Gruppe eine Geschichte, ein Drehbuch oder einen Roman zu schreiben. Denn immer wenn man eine Geschichte erzählt, sind es doch viele Stimmen, die durch eine Stimme sprechen."

Roberto Bui: "Ein Element unserer Methode ist die kollektive, radikale Improvisation - wie im "free jazz". Wir treffen uns einige Wochen lang täglich und vergleichen die Dokumente, die wir während unserer Archivrecherchen gesammelt haben. Dann beginnen wir zu improvisieren und Partituren für mögliche Handlungen entstehen."

Giovanni Cattabriga: "Einerseits benutzen wir die Methode des Improvisierens, andererseits überarbeiten wir immer wieder die Struktur unserer Bücher. Die Handlungszusammenhänge müssen unter allen Gesichtspunkten zwingend sein. Ich würde sagen, nach der Phase "Jazz" folgt die Phase "Die Kunst der Fuge" von Bach."

Der fast 800 Seiten schwere Roman entstand in einer spiralförmigen Bewegung, fast von allein. Die einzelnen Kapitel wurden jeweils von einem der Autoren verfasst. Dann wurde diskutiert, bis die unterschiedlichen Stile, die den verschiedenen Ebenen des Buches entsprechen, überzeugend ineinander greifen. Briefe, Tagebucheintragungen und Ich-Erzählung lassen ein faszinierendes, historisch überzeugendes Szenario entstehen, dessen Verfasser wie Geschichtenerzähler hinter dem Geschehen verborgen bleiben.

Roberto Bui: "Hier, auf dem Platz der Kathedrale von Ferrara sehen wir viele steinerne Inschriften, wie die, die von Kopernikus´ Aufenthalt berichtet. Die Menschen überqueren diesen Platz und nehmen diese Zeichen kaum mehr wahr. Wir dagegen versuchen, ihre Bedeutung zu verstehen. Wir nehmen sie zum Anlass, die Geschichte zu erzählen, die hinter diesen Steinen ist."

Giovanni Cattabriga: "Für uns zählt der Inhalt, dann erst kommt die Form. Wenn uns neue Geschichten finden, dann müssen wir ihnen entsprechend unsere Strukturen ändern. Wir wollen Geschichten erzählen, Worte fließen dann von alleine und gehen dabei eine ganz bestimmte, sinnvolle Ordnung ein, die nichts mit Minimalismus, ästhetischem Genuss oder purer Deklamation zu tun hat."

Roberto Bui: "Na ja, das einzig negative Moment war, als mein Handy in einen Eimer mit Wasser fiel. Wahrscheinlich muss ich mir ein neues kaufen. Aber sonst, ich glaube dieses Treffen war ganz fruchtbar."

"Q" ist eine Hommage an die Namenlosen, die das Geschehen durcheinanderwirbeln. Im 16. Jahrhundert und heute. Kein Wunder, geht es doch um flexible Identität, verbotene Bücher, Huren und einen geheimnisvollen Plan. Zwischen Mantua und Ferrara finden außergewöhnliche Begegnungen statt.

Thomas Radigk