Die vier folgenden Artikeln sind im Februar/April 2003 geschrieben und wurden in der Zeitschrift "Carta", erschienen als auch in verschiedenen Website.
Der erste ist eine Einladung zu "Trainstopping", als gegen-Kireg Aktion.
Die anderen Artikeln sind Kommentar der Kriegsentwicklung im Irak.


Gandhi und die Lokomotive
- Wu Ming 4 - 23.02.2003
Die Welt ist auf der Straße – Wu Ming - 20.03.2003
Der unmögliche Sieg – Wu Ming - 06.04.2003
Die andere, neue Weltordnung - Wu Ming 3 & Wu Ming 4 - 14.04.2003

übersetzungen v. Georg Feiler/ megraphics.de

Gandhi und die Lokomotive

Wu Ming 4

Als sie Gandhi fragten, wenn er an der Stelle der Engländer und Franzosen wäre, wie er die Truppen Hitlers, die über Europa herfielen, aufhalten würde, antwortete er, die Europäer müssten sich auf die Gleise setzen und keinen der Transportzüge mit Waffen und Soldaten passieren lassen. Was Gandhi dabei nicht in Betracht zog war, dass Hitler wahrscheinlich diese Züge dennoch hätte durchfahren lassen... Aber wir sind heute besser dran und im Augenblick zumindest, werden sie uns nicht überrollen. Das ist für mich ein nicht unerheblicher Vorteil, den es auszunützen gilt. Vor einigen Jahren sang Guccini ein Lied über eine Lokomotive, die als "Bombe gegen die Ungerechtigkeit" diente. Um die Wahrheit zu sagen singt er es noch immer für die Nostalgiker auf seinen Konzerten: Er singt von der ganz perönlichen Revolte eines anarchistischen Eisenbahners, der Anfang des letzten Jahrhunderts einen Zug entführte, etcetera, etcetra.

Dies ist mehr als ein Gedankengang. Zum einen ist es die Feststellung von etwas, was seit mehr als 24 Stunden schon geschieht. Zum anderen ist es die Voraussetzung, um zu sagen, dass die Bewegung gegen den Krieg dahin kommen muss, eine generelle Kriegsdienstverweigerung zu erreichen. Die Eisenbahner weigern sich, Militärzüge zum Bestimmungsort zu fahren (oder teilen mit, wann und wo sie abfahren) und wir setzen uns auf die Gleise, um ihre Durchfahrt zu vereiteln. Die gesamte Bewegung gegen den Krieg muss zu diesen praktischen und friedlichen Formen der Opposition gegen einen Staat finden, der sich nunmehr faktisch in der Kriegsvorbereitung befindet. Es geht darum den Millionen Demonstranten vom 15. Februar, die Option einer konkreten Aktion aufzuzeigen, die nicht gewalttätig ist und in vollem Einklang mit der besten Tradition des militanten Pazifismus steht.

Im Grunde ist die Frage von Millionen Menschen auf diesem Teil der Welt: "Wie können wir den Krieg aufhalten, angesichts der kriminellen und finsteren Absichten von Bush & Company." Nun, die Kriege werden aufgehalten, wenn die Regierungen, die sie machen, in die Minderheit und Isolation geraten und vor allem, indem die Länder, die daran teilnehmen paralysiert werden. Wirklich paralysiert! Mit Blockaden, Streiks, Fahnenflucht vor dem Regime des Krieges, das uns in heimtückischer Weise und äußerst soft aufgezwungen werden soll. Nicht folgen! Verweigern! Desertieren! Einen europäischen Generalstreik gegen den Krieg organisieren. Einen politischen kontinentalen Streik. Die Verantwortung tragen, Schaufeln von Sand in die ökonomischen Räderwerke zu schütten und ein weiteres mächtiges Signal wie das vom 15. Februar stellen.

Europäisches Cacerolazo. Die Strecken der Waffentransporte blockieren. Lokomotiven aufhalten. Das amerikanische Militär in Truppenbewegung die ganze Verachtung und die Ablehnung der zivilen europäischen Gesellschaft für ihr Tun spüren lassen. Einfach überall sein. Auch weil wir sehr gut wissen, dass es sich ?nicht nur? um die Verhinderung der Bombardierung des Iraks handelt. Bush hat angekündigt, dass Saddam nur der erste einer langen Liste von Diktatoren sei, die mit Bomben entmachtet werden sollen. Um die amerikanische Ökonomie aus ihrer größten Krise der Geschichte zu retten, wird der irakische Blitzkrieg nie ausreichen, was schon beim letzten gegen die afghanischen Hirten sichtbar wurde. Der Krieg wird ein permanenter sein. Deshalb wird auch die Schlacht der Paszifisten keine kurze Schlacht sein. Wir müssen uns darauf vorbereiten.

Wir müssen vorsichtig wie auch bestimmt handeln. Und wir dürfen nie vergessen, dass wir auf der ganzen Welt sehr viele sind. Wir sind eine "Weltsupermacht"! Und wir sind vielleicht auch das größte Kommunikationsmittel nach dem Internet. Benützen wir die Kraft dieser friedlichen Armata von 110 Millionen Menschen. Und vergessen wir nicht, dass in Indien am Ende das britische Imperium verloren hat...


Die Welt ist auf der Straße

Wu Ming

Das Risiko steht zum Ausverkauf, während die Bomben fallen und die Panzerfahrzeuge sich ihren Weg durch die Wüste bahnen. Ein Exorzismus ist zu praktizieren. Das ist mehr ein psychologischer als politischer Imperativ: Wir müssen den Auswirkungen des Bösen auf unsere Sinne widerstehen. Wir müssen die Depression, die Verzweiflung, die Niedergeschlagenheit vermeiden. Das ist ebenso schwer wie unumgänglich.

Die größte Bewegung von Meinungen, Ideen und Körpern in der jüngsten Geschichte sieht sich vor eine titanische Aufgabe gestellt und sie hat bis heute auch die besten Erwartungen übertroffen. Das hat sie auch weiterhin zu tun. Den Krieg, den uns die Regierung Bush und seine Verbündeten  versprochen haben,  den Krieg, den sie der Welt, den internationalen Institutionen, der Bewegung der Bewegungen, erklärt haben, er ist mit dem Irak nicht zu Ende. Er beruht auf einer lang angelegten politischen Planung. Es ist daher notwendig, auf eine lange und harte Schlacht vorbereitet zu sein. Es wird eine Schlacht ohne Unterbrechung sein, in der zwei gegensätzliche Supermächte sich unterschiedlicher Waffen und Strategien bedienen. Dies wird die ersten Jahrzehnte dieses Jahrhunderts deutlich kennzeichnen. Die Macht der Vernunft, des Miteinanders, des Dialogs, gegen die Eindimensionalität von Profit , Krieg und Diktat.

Diejenigen, die in den Kriegen überleben werden, denen es gelingt sie einfach dadurch zu besiegen, weil sie nicht nachgeben, sind diejenigen, die trotz allem nicht auf das Leben verzichten.  Das sind diejenigen, die davon überzeugt bleiben, dass es zwischen Töten und Sterben noch eine dritte Option gibt: Leben. Das gilt immer, auch für den, der keine Bomber im Kopf hat. Auch für den, der hier lebt. Und in Zeiten des Krieges bedeutet leben hartnäckig zu kämpfen, noch mehr als er es bisher vielleicht schon getan hat. Wir sollten uns dabei vor allem eine relevante Tatsache vor Augen halten: Die Bush-Administration und ihre Alliierten machten sich hinkend, angeschlagen und einsam auf den Weg.

Die politischen und sozialen Kämpfe der vergangenen zwei Jahre haben einen grundlegenden Bruch mit dem letzten Jahrzehnt des letzten Jahrhunderts geschaffen. Das Resultat davon ist, dass außer einem Trupp schwankender Regierungen niemand auf der Welt den Bushkrieg gut heißt. Der einfache Grund dafür ist, weil alle begriffen haben, dass es ein Krieg gegen die ganze Welt ist. Einige der heruntergekommenen Regierungen, die nichts zu verlieren haben, haben sich dabei entschieden, sich an den Karren des Stärkeren zu klammern. Sie haben auf ein texanisches Pferd gesetzt, welches reichliche Gewinne für die Freund und ein hartes Leben für die Feinde verspricht.

Wir müssen dagegensetzen, denn die Administration Bush und ihre Alliierten werden diesen Krieg verlieren. Sie verlieren ihn nicht im Irak, sie verlieren ihn nicht auf den Schlachtfeldern. Militärisch sind sie die Stärkeren. Sie werden ihn verlieren, weil sie sich dazu entschlossen haben, allein gegen die Welt anzutreten.  Die Zeit, die sie dazu benötigen, diesen Krieg zu verlieren, hängt auch sehr von uns ab: von der Fähigkeit, sich nicht niederschlagen zu lassen, weiter die Regierungen, Parlamente, internationalen Einrichtungen unter Druck zu setzen - sie zu drängen, zu konditionieren, sie von unten zu durchdringen. Wir müssen weiterhin da sein und das entwerfen,  für das wir stehen: Eine Vielzahl, die eine andere, mögliche und notwendige Welt schafft.

Das reicht allein jedoch noch nicht. Konkret bedeutet das Schaufeln voll Sand in das Getriebe der Kriegsmaschinerie zu schütten. Blockaden in den Ländern, die Produktion sabotieren. Auch dies reicht noch nicht. Wir müssen unentwegt weiter daran arbeiten Modelle, soziale Experimente des Miteinanders, öffentliche partizipierende Räume, zu entwerfen, wir müssen kulturell hegemoniale Schlachten schlagen. Jetzt noch mehr als bisher. Und wir werden dazu den europäischen politischen Raum auszunützen haben, der zum ersten Mal, mit dem 15. Februar, von der kontinentalen Zivilgesellschaft besetzt wurde und nicht nur von Bänkern und Grenzwachen. Dieser Raum muss völlig genutzt werden, so als wäre er ein zu entdeckendes Land und von Anfang an zu durchlaufen.

Auch das reicht noch nicht aus. Die kriegsführenden Regierungen befinden sich schon im Ungleichgewicht. Es liegt an uns, ihnen einen entgültigen Stoß zu versetzen. Das gilt auch für Bush, Präsident von Gnaden schmählicher Wahlmanöver und noch Präsident dank des 11. September. Amerika steht nicht hinter ihm. Von den Aktivisten für den Frieden, die von israelischen Bulldozern zermalmt werden, bis zu den überbezahlten Stars aus Hollywood spürt man nur eines: Geringschätzung gegenüber seiner Regierungslinie. Es gibt keinen amerikanischen Intellektuellen, der sich hätte für seinen Kreuzzug rekrutieren lassen.

Raketen regnen auf Bagdad, Gebäude in Flammen, welche von den blinden Augen der Berichterstatterin nicht gesehen werden und dazu die wahnsinnige Desinformationskampagne. „Alles ist in Ordnung, ausgezeichnet, man riecht nichts...“, lächerlich kriegsbegeisterte Salons verbreiten Melasse, werben jegliche Art Kriecher an, akkreditieren jedes vorgefertigte Kleidungsstück. Alles umsonst. Die Welt ist auf der Straße, verweigert den kathodischen Krieg, versucht Seinesgleichen auf den Plätzen zu treffen, um über etwas besser Machbares nachzudenken, um sich zum größten Massenmedium zu verwandeln, das die Menschheit je gesehen hat. Nicht in unserem Namen und auch nicht in dem von ihrem gestorbenen blasphemischen Gott. Gefährlich verzweifelt, isoliert, sitzen sie auf dem gigantischen Staub eines törichten Willens zur Macht. Sie haben nur eine Haarmodistin bei sich – die Arme – und eine Telekamera über die sie demente Grimassen schneiden, bevor sie die Attacke ankündigen...

Doch wie war jenes Motto?

„Ihr seid 8, wir 6.000.000.000!“


Der unmögliche Sieg

Wu Ming 3


Mit bangendem Herzen wird die Schlacht von Bagdad erwartet. Der OK-Corral ist schon seit geraumer Zeit von den Cowboys, die in dem ovalen Zimmer sitzen, angestimmt. Dies zur Freude ihrer Kollegen, die den Redaktionen der Massenmedien vorstehen. Wenn diese partiellen unvollständigen Zeilen den Leser erreichen, wird sie schon toben (Straße um Straße, Haus für Haus, Grab um Grab?). Und bald könnte sie schon beendet sein, damit die Optimisten recht behalten (bzw. der nekrophile Optimismus der Kommentatoren und Analytiker). Jedoch nicht bevor weitere Belastungen des Schreckens und unaussprechlichen Leidens die Bevölkerung erreicht haben. Weitere Beweise also des paranoiden Endstadiums einer sterbenden Zivilisation.

Die Desinformation indessen pervertiert beständig. Alles verläuft planmäßig. Aber was sind die Pläne?

Die Cowboys mit ihren Sternen und Dekorationen sagen uns, dass wir warten sollen, Vertrauen haben sollen. In einigen Wochen wird alles zu Ende und das Ziel erreicht sein.

Die Cowboys, die im ovalen Zimmer sitzen sagen uns, dass wir warten sollen, Vertrauen haben sollen. In einem Jahrzehnt, maximal in zwei, wird alles beendet und das Ziel erreicht sein.

Sie sprechen leider über die gleiche Sache. Nach dem Irak: Syrien, Iran, dann Jordanien, Saudi Arabien, Ägypten, Lybien... Ein großes Palästina für ein großes Israel. Wir müssen warten und Geduld haben.

Doch das Warten ist kein Freund von Sicherheiten. Es sät Zweifel proportional zu seiner Dauer. Es lässt Fragen auftauchen, die nicht der Moral der Truppen dienlich sind. Fragen, die im Feld gestellt werden wie auch zu Hause. Fragen, die auch die Regimenter der Information erreichen, die mit den angloamerikanischen Truppen zu Bett gehen („embedded“).

Und so warten wir also, lassen uns von Zweifeln quälen, greifen die unbeantworteten Fragen auf, versuchen sie in uns selbst anklingen zu lassen  und dann: draußen.

Im Lichte dessen, was wir im vergangenen, gerade beendeten Jahrhundert gesehen und erlebt haben, ist es da noch möglich einen Krieg zu „gewinnen“? Spätestens seit Ende des Zweiten Weltkrieges sind die Gewissheiten oder Illusionen eines von Clausewitz  –dem Theoretiker der westlichen „Kunst“ Kriege zu führen, nach dessen Lehren die letzten zwei Jahrhunderte Schlachten studiert und geschlagen wurden-  an einer Welt zerbrochen, deren Realität sich radikal und unwiderruflich gewandelt hat. Nach Dresden und Hiroshima hat der Gedanke, dass ein Krieg allein durch „Professionelle“ geführt werden könne, von Armeen im zermürbenden Aufeinanderprallen, die auf der wechselseitigen Suche nach einer Überlegenheit gegenüber dem Feind sind, für immer seine eigene tragische Unangemessenheit gezeigt.  Nunmehr ist der Krieg nur noch eine offensichtliche Hypokrisie des Todschlags von Anhängern eines „aseptischen“ kriegerischen und militärischen Technizismus, der die Gesellschaft „der Zivilisten“ nicht tangiert.

Der andere Pfeiler der Theorie von Clausewitz, der Gedanke einer ausschlaggebenden Feldschlacht, der entscheidenden Auseinander­setzung, welche den weiteren Verlauf des Krieges bestimmt, ist angesichts der Entwicklungen neuerer Geschichte in Brüche gegangen.

Wann enden die zeitgenössischen Kriege? Welche und wie viele geführte Kriege im Verlauf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts können wir im politischen und militärischen Sinne als abgeschlossen betrachten?

Sicherlich nicht den Koreakrieg, um bei einem der älteren Konflikte zu verweilen. Seine Konsequenzen sind seit Jahrzehnten spürbar und er empfiehlt sich für das internationale Szenario als eine zukünftige Etappe - zur rechten Zeit, bei einer Näherung an die große Auseinandersetzung mit China.

Sicherlich auch nicht der Nachfolgekonflikt im Nahen Osten nach der Bildung des Staates Israel, der im Gegenteil ein Modell zu sein scheint für die mögliche Führung einer Chronik des Krieges. Der Krieg, der zum täglichen und bewohnten Ambiente wird, zur gegebenen Tatsache, zum Status der Dinge, der die gesamte Gesellschaft militarisiert und einen perversen sozialen Pakt über die Existenz des Feindes im eigenen Haus begründet.

Alles andere als abgeschlossen können wir die afrikanischen Gemetzel betrachten, die sich über jeden Winkel des Kontinents und jede der dunklen Schluchten unseres Westens ziehen. Die indochinesische Halbsinsel hört nicht zu leiden auf. Indien und Pakistan bedrohen sich durch nukleare Abschreckung, Terrorismus und dauernde Grenzauseinandersetzungen. Die Balkanländer halten ihr Gleichgewicht mit Maulhelden und mafiosen Morden ihrer Staatschefs. Tschetschenien, Afghanistan haben die örtlich begrenzten Konflikte als irreversible Formen.

Der erste Golfkrieg, der von Vater Bush, der noch auf dem Szenario von Clausewitz basierte - mit der großen Schlacht in der Wüste, brachte keinerlei Resultat. Dies aus dem einfachen Grund, weil Saddam diese nicht anerkannte, sich desinteressiert an den materiell erlittenen Verlusten zeigte. Die Vereinigten Staaten ihrerseits konnten ihn nicht beenden, ohne nicht gröblichst das UNO-Mandat zu verletzen, das die kriegführende Koalition erhielt. Heute, beim Versuch dieses Kapitel zu schließen, öffnet sich die Vase der Pandora für die Welt von morgen, die mit jeder Art internationalem Recht gebrochen hat.

Es gibt aber einen Krieg, der mit Verdikt und eindeutigen Siegern beendet wurde. Es ist der, den viele schon den Dritten Weltkrieg nennen, aus Furcht oder Bangen, dass der Vierte gerade schon begonnen hat: Der Kalte Krieg, der all die anderen militärischen Konflikte für sich beanspruchte und sie in eine ausgedehnte und sehr komplexe Dynamik einbettete. Trotz der unumstrittenen Sieger des letzten und einzig abgeschlossenen Konfliktes, sind diese mehr denn je mit der vergifteten Hinterlassenschaft ihres Sieges beschäftigt: Die Feinde von heute sind zu gutem Teil die Freunde von gestern (Saddam, Bin Laden). Die alten Feinde von gestern, heute Alliierte, („Mein Freund Vladimir!“) fischen im Trüben und spielen an allen erlaubten und unerlaubten Tischen.

Daraus folgt, dass der Ausgang des Krieges und die Möglichkeit seiner Analyse, sich mehr der orientalischen Konzeption zuwenden. Sie sieht den Krieg eher als ein Feld des Betruges denn der Stärke, wo ohne entscheidende Schlacht zu gewinnen ist, oder aber auch gewonnen werden kann, ohne tatsächlich zu kämpfen. Die Theorien des preußischen Strategen gehen zu Bruch gegenüber der Wirklichkeit einer komplexen und global ineinander verstrickten Welt und mit ihnen gehen auch ihre grundsätzlichen Voraussetzungen unter.  

Der Krieg ist nicht mehr weiter „die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“. Der Krieg ist der Krieg. Er ist eine menschliche Aktivität - die grausamste und er ist vor allem eine Vision der Welt.

Der vertikale Bruch in der zerbrechlichen kalten Nachkkriegsordnung, die auf dem internationalen Recht gründete, setzte den monokratischen und imperialen Willen von Seiten eines Haufens texanischer Putschisten voraus, um eine neue Weltordnung zu begründen, die auf Angst und Krieg aufgebaut ist. In einer Zeit in der kein Krieg gewonnen und noch weniger beendet werden kann, ist dies zumindest in zweifacher Weise als kriminell zu werten.

Die mehrheitliche und globale Opposition gegen den laufenden Konflikt zieht Spott und Ironie seiner „intelligenten“ Verleumder auf sich, weil sie sich zu einem unnachgiebigen Pazifismus bekennt, der für sie irrealistisch, naiv, utopisch und daher schädlich ist. Er ist nicht praktikabel und nicht angebracht. Sie werden gezwungen sein, ihre Meinung zu ändern und sich zu verbeugen vor dem Weitblick des neuen Giganten, der sich auf der Weltbühne zeigt und fähig ist, die Essenz der Realität auszudrücken, indem er eine Milliarde Geister vereinigt. Der „Realismus“ der Zurückweisung des Krieges als Form der erneuerten Bewusstheit, als Instinkt des Überlebens der Art, wird sich sehr bald als einziges Antidot gegen die mögliche tödliche Infektion erweisen, die propagiert wird.

James Woolsey, ehemaliger Chef des CIA mit sicherem Regierungsauftrag im Post-Saddam-Irak, kündigt uns zufrieden drei oder vier blutige Jahrfünfte an. Wer weiß, ob er sich der unvermeidlichen tragischen Niederlage bewusst ist, der er in seiner Fratze des Räubers entgegenläuft.

Was uns, die erschreckte aber entschiedene Mehrheit angeht, die Zeit und die Modalitäten dieser Niederlage, bei der wir uns als Protagonisten und nicht als Opfer wissen, bestärken die Bedingungen unseres Überlebens und die des ganzen Planeten.


Die andere neue Weltordnung

Wu Ming3 und Wu Ming4

Bei all den schrecklichen Bildern von verstümmelten Kindern, den Nachrichten von Plünderungen, persönlichen Abrechnungen, der Lynchjustiz, Nachrichten von Marines, die schießen, weil sie Kinder mit Kamikazekriegern verwechseln, bei all dem ist es grotesk, dass gesagt wird, „Der Krieg ist beendet“. Gewonnen und beendet.

Das ist nur der Beigeschmack der „Afghanisierung“ des Irak. Was die menschlichen und politischen Kosten des nachträglichen Fahnen­schwingens sein werden, können wir uns gut vorstellen. Es besteht aber der begründete Verdacht, dass diese von den dümmlichen Texanern, die sich im Zimmer der Schalthebel in Washington festgesetzt haben, ignoriert werden. Offensichtlich haben sie keinerlei Voraussetzungen, sie einzuschätzen.

Die von der Bush-Administration angekündigten Pläne für den Irak, sehen ein militärisches und politisches Protektorat vor, das die us-amerikanischen Interessen in der Region schützen kann. An die Seite amerikanischer Ministergeneräle soll eine Batterie Diplomaten aus dem Exil gestellt werden. Es sind Leute, die seit über 30 Jahren ihren Fuß nicht mehr ins Land gesetzt haben. Holzköpfe, die den Anschein von Demokratie wahren sollen. Die gleiche Rolle spielt Karzai in Afghanistan, das Bild eines Mannes, der sicherlich nicht das Land regiert. Er spaziert durch Kabul (vielmehr durch den Teil Kabuls, als dessen Bürgermeister er genannt werden könnte) und er wird von Marines begleitete, um nicht getötet zu werden, das gleiche Schicksal also, das schon einige Minister seiner Schattenregierung ereilt hat. Auch in Afghanistan ist der Krieg beendet und auch in Afghanistan wird weiter Krieg geführt.

Was Bush und seine Handlanger nicht wissen ist, dass Kolonialreiche nicht allein durch die Macht der Gewehre und Propaganda gemacht werden. Das letzte, das britische Kolonialreich, zählte außer auf die Allmacht der Gewehre und Propaganda auch auf das Wissen. Die Gang der Texaner nicht. Sie schwitzt im Gegenteil Ignoranz aus allen Poren. Die Konsequenzen sind mit bloßem Auge zu sehen.

Auch das britische Imperium maß sich eine zivilisatorische Rolle gegenüber den „rückständigen“ Ländern an. Die Rhetorik, welche die blutige Eroberung der halben Welt durch die Engländer begleitete, unterschied sich nicht groß von der, die heute Bush und Kumpane im Mund führen. Es ging nicht darum, die Demokratie zu exportieren, sondern die Zivilisation. Den Völkern als Opfer ihrer eigenen Rückständigkeit, wurde die Möglichkeit der Teilnahme an der „zivilisierten“ Welt geboten. Sie nannten es „Bürde des weißen Mannes“. Doch waren es nicht die Kanonen seiner Majestät, die den Engländern die tausend Wege nach Bagdad öffneten. Die kamen erst im zweiten Abschnitt. Welche die Piste anlegten, waren skrupellose Abenteurer, schlaue Funktionäre des Foreign Office. Es waren Leute wie Livingstone, Burton, Lawrence; Leute, die über Jahren hinweg das Territorium durchkämmten, das später militärisch erobert und operative Basis für die britische Armee werden sollte. Es waren profunde Kenner einer Welt der ökonomischen und strategischen Interessen, die versuchten jedes feine Gleichgewicht unter den lokalen Stämmen auszuloten. Sie lernten sich mit ihnen zu verbinden, ihre Sprache, Bräuche und Gebräuche und ihre Mentalität zu verstehen. Es waren James Brook und Lawrence von Arabien, die das Fundament für dieses Imperium aufschütteten.

1915, als es darum ging, dass sich Beduinenstämme gegen die türkische Herrschaft erhoben, um mit der englischen Offensive im Mittleren Orient beginnen zu können, wurde Sir Archibald Murray, General für Ägypten, von den militärischen Operationen in Arabien und Mesopotamien ausgeschlossen. Der Grund: Ihm und seinem hohen Rang fehlte es an den „notwendigen ethnologischen Kenntnissen“.

Am 11. September 2001 gab es im ganzen Pentagon gerade drei Leute, die arabisch verstanden.

Das neokoloniale, texanische Projekt hat sich mit der Demo­kratisierungsrhetorik bewaffnet. Jedoch wird sie immer dünner, immer weniger wirksam und v.a. kümmert sie sich nicht darum, die Welt zu verstehen, um sie beherrschen zu können. Die „Last“ des Kampfes gegen den Terrorismus reduziert sich auf den Export von Terrorismus als neue Grenze der ökonomischen Politik. Die Kriegsmaschinerie, des gigantischen, militärisch-industriellen Komplexes (des us-amerikanischen Kapitals, aber nicht nur) hat jeden ideellen Schleier fallen lassen. Es reicht ihr gerade noch, sich selbst zu rechtfertigen, um evident zu bleiben. Am Ende seines Weges fürchtet der Neoliberalismus nicht, seinen Ursprung und seine Ziele in Gänze aufzudecken.

Die Herren über Petroleum und Waffen, über die Sicherheitsindustrie des 21. Jahrhunderts, die zwanzig Jahre lang durch die Belle Epoque des Diskurses und der neoliberalistischen Praxis geschützt waren, decken nun die Karten auf und verweigern jegliches Zugeständnis. Die Logik des „Enduring War“ ist die Antwort, welche die texanischen Abenteurer auf ihre Ängste geben, entsetzt darüber, dass sich das Ende der Zivilisation der Hydrocarburate abzeichnet. Mit ihnen zusammen stehen die Alliierten, in gewöhnlichen finanziellen Interessen oder auch in den Abfällen einer sterbenden angelsächsischen Hegemonie verstrickt, oder auch, weil sie die angeborene Servilität immer weniger legitimierter Regierungen an sich haben und die falsche Hoffnung hegen, einige Brösel der Kriegsbeute abzubekommen.

Die Superklasse von Hydrocarburaten und Waffen empfiehlt als Lösung, angesichts der rezessiven und hausgemachten strukturellen Krise, zum Schutz ihrer Domaine, weltweit die Industrie der Sicherheit und die Notwendigkeit einer diesbezüglich enormen Nachfrage zu schaffen. Das Pathologische in Profit verwandeln. Die Angst als Motor der Ökonomie des 21. Jahrhunderts.

Der Schaden, den sie dabei sind, diesem Planeten zuzufügen, ist nicht kalkulierbar. Ihr Projekt ist, wie jede tautologische Autokratie, zum Scheitern verurteilt.

Die Auswirkungen und Konsequenzen müssen vermieden werden, die hervorgerufenen „Reaktionen“ auf die Unterordnung durch diesen barbarischen Apparat bedienen sich der Logik einer Identitätskrise und „antiamerikanisch“ militaristischen Irrfahrt, in unserem Falle beispielsweise der Wiedergeburt eines „rheinisch“ europäischen Nationalismus, der fähig ist die Dynamiken des kalten Krieges mitzuverwalten.

Noch einmal, das Antidot, das die globale Bewegung gegen Krieg und Neoliberalismus für die Würde der Völker seit seiner Geburt bei sich führt, weist den einzig alternativen und praktikablen Weg. Den Kampf auf seinem höchsten Punkt aufnehmen, auf dem des Bruchs und der Begründung einer neuen internationalen Ordnung - ohne konservative oder vergangenheitsbezogene Rochaden. Anderen Modellen der internationalen Beziehungen müssen Hindernisse in den Weg gelegt werden, und es muss die ökonomische und ambientale Unverträglichkeit des Systems bloßgestellt werden, das über die Produktion und die Verwaltung der Ressourcen regiert. Dieses System muss durch neue Institutionen ersetzt werden, durch andere, kulturell gemischte Modelle der Entwicklung, durch eine neue, leitende Klasse des geringeren Wissens und der kognitiven Arbeit. Es muss eine leitenden Klasse sein, die sich aus den Peripherien und den Slums von Bangalore oder Sao Paolo herausbildet, eine Klasse, die in diesen Jahren auf den Autobahnen und Knotenpunkten von Los Angeles bis Seattle, von London bis Prag, von Seul bis Sidney reist.

Die Erosion des inneren Konsenses, die Verweigerung einer Militarisierung des Lebens, die Verbundenheit mit dem unverzichtbaren Austausch der Kulturen und Zivilisationen, bilden schon die „Antikörper“ des Westens, der sich bei seinem letzten Rodeo infizierte. Leider reicht das noch nicht aus, um die Gesundung des Kranken zu garantieren oder Ansteckung auszuschließen.

Es gibt keine Möglichkeit, Ordnungen und Gleichgewicht, die auf den Ergebnissen des zweiten Weltkriegs basieren, aufzubauen. Jeder Wille zu einem „resistentialen“ Verhalten, der in die Vergangenheit und auf die Konservierung von unnützen Gleichgewichten und Institutionen schaut, ist inadäquat und verlorene Zeit. Dem Feind in die Augen schauen, den Blick auf die Höhe der Herausforderung richten, ist die einzige Haltung, die denen eine Chance gibt, die gegen eine Armata von Cowboys kämpfen wollen, die auf einem Berg von Ölfässern sitzt. Die globale Bewegung ist aus diesem Grunde geboren. Das Bewusstsein dieser Realität ist ihr eigenster Ursprung.

Die strukturelle Unfähigkeit der Linken, in ihrem Ganzen und ihrer Entwicklung auf der Höhe der Zeit zu bleiben, sich nicht in jede Frage zu verwickeln, muss als unumkehrbares Merkmal einer ebenfalls sterbenden Institution gewertet werden: die Linke des 18. -19. Jahrhunderts, die unbeholfen versucht, Teile, Organe, Fetzen von sich in eine unbekannte Epoche zu retten. Jegliche zukünftige Vorhaltung über Trennungen und Feden innerhalb und außerhalb der Ulivenbäume (sozialdemokratische Konstellation in Italien, d.Ü.) und ihren verstaubten Sekretariaten, kann getrost als zeitlicher Verlust betrachtet werden. Ohne eine radikale Transformation, die von Grund auf die Modi der politischen Reproduktion und ihrer philosophischen Voraussetzungen verändert, um sie der realen Bewegung anzupassen, wird es dieser alten Verbindung nicht möglich sein, in den Fluss der Ereignisse zu gelangen.

Das Herz schlägt irgendwo anders, in den fruchtbaren Vorstädten von Teheran und Buenos Aires. Dort ist der Atem des globalen Geistes, der die Effekte der angekündigten Katastrophe mildert.


Giap/digest Main Menu